Die Romanvorlagen

Als Autor Volker Kutscher 2007 den ersten Teil seiner Romanreihe über Kriminalkommissar Gereon Rath vorlegte, betrat er mit „Der nasse Fisch“ literarisches Neuland. Historienkrimis, die zur Zeit der Nazi-Herrschaft in Deutschland spielen, gab es bereits, doch ein Romanzyklus, der sich mit dem letzten Aufbäumen der „goldenen“ 1920er Jahre beschäftigt, war bis dato nicht veröffentlicht.

Diese besonders spannende, weil von extremen gesellschaftlichen Umbrüchen geprägte Phase deutscher Geschichte kombiniert Kutscher in seinen Büchern mit klassischen Noir-Elementen, die Hardboiled-Autoren wie Dashiell Hammett und Raymond Chandler zur gleichen Zeit in den USA zu Papier gebracht hatten. Dieses Konzept spiegelt sich auch in der Wahl des aus Köln nach Berlin versetzten Kommissars wieder. An der Seite des ehrgeizigen aber politisch desinteressierten Antihelden erkundet der Leser das damalige „Chicago an der Spree“ und erlebt gleichzeitig stellvertretend mit, wie es dazu kommen konnte, dass in einer jungen Demokratie mit vielversprechenden modernen Ansätzen der Faschismus das Ruder übernehmen konnte.

Gereon Raths Kriminalfälle sind aufwendig recherchierte Geschichtsstunden, in denen der Autor fiktive und real existierende Figuren mit einschneidenden historischen Ereignissen konfrontiert, ohne dabei den Krimiplot aus den Augen zu verlieren. Dabei bedient sich Kutscher eines packenden szenischen Schreibstils, der nicht nur die rauschhafte Welt der untergangsgeweihten Weimarer Republik detailgetreu zum Leben erweckt, sondern auch die perfekte Basis für eine Verfilmung bietet. Kutscher nennt als Inspiration neben der richtungsweisenden HBO-Serie „Die Sopranos“ (1999-2007) auch die Tatsache, dass er Ende 2002 kurz nacheinander zwei Filme gesehen hat: Sam Mendes’ 1931 spielenden Hardboiled-Gangsterfilm „Road to Perdition“ und Fritz Langs im Berlin des Jahres 1931 entstandenes Meisterwerk „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“. Die Idee, diese beiden Welten in einem Kriminalroman aufeinandertreffen zu lassen, war geboren.

Eindrücke zu Babylon Berlin

Von Volker Kutscher, Autor der Gereon Rath-Reihe

Es ist schon ein eigentümliches Gefühl, wenn die eigene Imagination plötzlich Formen annimmt, wenn Figuren, die bislang nur in Gedanken und in der Phantasie existierten, plötzlich sichtbar und lebendig werden. Auch wenn ich schon einige Bilder und Szenen kannte, mir die Optik von BABYLON BERLIN also nicht völlig fremd war, so war es doch etwas ganz anderes, die Geschichte zum ersten Mal erzählt zu bekommen und wirklich abzutauchen in die Welt von BABYLON BERLIN. Denn genau das tut man, wenn man sich diese Serie anschaut: Man taucht ein in das Berlin des Jahres 1929, ist ganz nah bei den Figuren mit ihren je eigenen Sorgen und Nöten, Hoffnungen und Leidenschaften. Volker Bruch ist Gereon Rath. Liv Lisa Fries ist Charlotte Ritter. Peter Kurth ist Bruno Wolter. Die Figuren leben. Und es ist eben nicht nur eine Welt, es sind viele Welten, die sich in BABYLON BERLIN öffnen: die von politischem Denken und egoistischen Motiven durchzogene Welt des Polizeipräsidiums, die Enge und das Elend des Arbeitermilieus, der unvorstellbare Reichtum der Großindustriellen, die Arroganz der alten wirtschaftlichen und militärischen Eliten, die Heimeligkeit und Spießigkeit des Kleinbürgertums, die Gewalt der Straßenschlachten, der politischen Kämpfe und der Unterwelt, der Glamour und die Abgründe des Berliner Nachtlebens, das Nebeneinander von Moderne und Rückwärtsgewandtheit, und, und, und. Das ist ja das sChöne an dieser TV-Adaption. Meinem Buch „Der nasse Fisch“ blieb das Schicksal erspart, das die filmische Adaption eines Romans normalerweise mit sich bringt: Er wurde für die Verfilmung nicht gekürzt, sondern bekam ganz im Gegenteil alle Zeit, die er braucht: In zwölf Stunden kann die GEschichte so episch entfaltet werden, wie es der Stoff verlangt. Und es macht Freude zu sehen, wie unglaublich gut BABYLON BERLIN diese komplexe Geschichte erzählt.

Der Autor

Volker Kutscher wurde 1962 in Lindlar geboren und arbeitete nach dem Studium der Germanistik, Philosophie und Geschichte als Tageszeitungsredakteur. 1996 legte er mit „Bullenmord“ den ersten von zwei im Bergischen Land spielenden Regionalkrimis vor. In der mehrfach preisgekrönten Gereon-Rath-Reihe sind im Verlag Kiepenheuer & Witsch bislang die Bände „Der nasse Fisch“ (2007), „Der stumme Tod“ (2009), „Goldstein“ (2010), „Die Akte Vaterland“ (2012) sowie „Märzgefallene“ (2014) erschienen, in denen das Berlin der Jahre 1929 bis 1933 als Kulisse dient. Im kommenden November wird Kutschers sechster Rath-Roman mit dem Titel „Lunapark“ erscheinen, der im Sommer 1934 spielt. Weitere Bände werden folgen.